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Erklärung
zur Konstituierung am 10. November 1990
WAZ ist los?
Was sich zur Zeit in der österreichischen
Medienlandschaft vollzieht, folgt dem internationalen Trend zur Konzentration
von Zeitungen und Zeitschriften in den Händen weniger Konzerne und
zur Bildung von Oligopolen. So weit, so bekannt. Es ist weder angebracht,
diese Entwicklung als bloßen wirtschaftlichen Vorgang abzuhandeln,
noch finden wir uns bemüßigt, in Wehklagen über den Verlust
einer seit jeher fragwürdigen "Meinungsvielfalt" und "Objektivität"
der herrschenden Medien auszubrechen. Was wir allerdings in diesen Wochen
und Monaten beobachten und was uns Sorgen bereitet, sind die Veränderungen
der Interessen und "Meinungen" sowie der Methoden ihrer Vermittlung, die
der Journalismus in den Händen der neuen Medieninhaber vollzieht.
Verfügte ôsterreich schon bisher nur in sehr verdünnter
Dosierung über jene liberal-demokratischen Traditionen , die beispielsweise
dem französischen oder US-amerikanischen Journalismus seine Bedeutung
verschaffen, so wird man Tugenden wie Eigenständigkeit und Integrität
bald gänzlich von der Interessenliste des heimischen Journalismus
streichen können. Wenn sich Journalisten bisher noch zugute halten
konnten, Standpunkte selbst erdacht oder zum mindesten nachgedacht und
ihren LeserInnen mit einem Minimum an Information und Argumentation weitergereicht
zu haben, so wird ihre zukünftige Arbeit noch weiter den Interessen
(deutschen) Großkapitals untergeordnet werden. Das bedeutet, daß
sie ihre LeserInnen künftig noch weniger als bisher als mehr/weniger
aufgeklärte BürgerInnen ansprechen werden, sondern nur noch
als konsumfreudige Zielgruppe für Anzeigenkunden und unterhaltungsbedürftiges
Publikum für politische Stimmungskanonen (etwa vom Schlage eines
Mannes, der auf diese Weise bereits kärntner Landeshauptmann werden
konnte). Was einem rationellen europäischen Medienkonzern Auflage
und Werbegelder verschafft ist nicht Information und Argumentation (und
sei sie noch so jämmerlich), sondern die geschickte Vermarktung politischer
Stimmungsmache; nicht die Beachtung sozialer oder regionaler Besonderheit,
sondern die Förderung einer einheitlichen europäischen Konsumkultur.
Womit wir zu rechnen haben, das ist die vollständige Vernichtung
eines politischen Raumes, in den Themen "von allgemeinem Interesse" immerhin
noch gelangen konnten, die zunehmende Ausschaltung der BürgerInnen
aus allen sie betreffenden gesellschaftlichen Abläufen, eine rasant
anwachsende Bedrohung der geistigen und kulturellen Integrität der
Menschen in diesem Land.
Was denn?
Alles, was wir oben beschrieben
haben, ist nicht prinzipiell neu. Es wird aber jetzt durch das massive
Eindringen deutschen Großkapitals und durch das beschleunigte Zeitungssterben
vor allem in den Bundesländern auf die Spitze getrieben. Dem gegenüber
gibt es seit vielen Jahren Zeitschriften, die sich mit Recht alternativ
nennen, da sie wesentlich andere publizistische Ziele verfolgen und ein
wesentlich anderes Verhältnis zu ihren LeserInnen haben, als profitorientierte
Medien. Das Spektrum der alternativen Presse ist mit mehreren hundert
Titeln und Themen breit - dennoch können wir gemeinsame Charakteristika
feststellen:
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Alternative Medien verfolgen
ernsthafte inhaltliche Interessen. Diese bilden die wesentliche Triebfeder
der journalistischen Arbeit und sind für jeden ohne weiteres
erkennbar. Das heißt: alternative Medien sind zuerst einmal
ehrlich.
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Sie würden sich selbst
ad absurdum führen, wenn sie sich zu bloßen Werbeträgern
für Partei- oder sonstige Vermarktungsinteressen instrumentalisieren
ließen.
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Die LeserInnen alternativer
Zeitschriften können diese Ehrlichkeit und Sorgfalt auch erwarten:
sie sind schlechthin die einzigen Erfolgskriterien von Alternativmedien,
hinter denen Kriterien wie Schnelligkeit, Sensation und "Entertainment"
weit zurücktreten.
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Alternative Zeitschriften
wollen nicht in erster Linie den Anzeigenkunden hohe Auflagen bieten,
sondern gelesen werden. Darum biedern sie sich auch den LeserInnen
nicht an, sondern sprechen sie als intellektuell Gleichgestellte an
setzen ihnen mitunter Widerstand entgegen und stoßen selbst
auf den Widerstand der LeserInnen. Ziel ist nicht die Beeinflussung
einer öffentlichen Meinung, sondern das Vorantreiben eines gemeinsamen
Denkprozesses. Auf diese Weise werden aus LeserInnen oft MitarbeiterInnen.
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Wer seine LeserInnen ernst
nimmt, muß sich um gründliches, konzentriertes Denken bemühen
und der Sprache einen dementsprechenden Platz einräumen (oder
- mit Doderer ausgedrückt: Ein Gedanke ist nur so viel wert,
wie sich seine Sprache darum bemüht, eine zu sein) - gegen das
immer lauter werdende, sinnlose Rascheln im Blätterwald.
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Alternative Zeitschriften
schaffen also noch vor einer bestimmten inhaltlichen Ausrichtung Räume
für eigenständiges, kritisches und originelles Denken, wo
Gesinnungseintopf und Bierzelt-Einigkeit drohen. Sie sind ein Nährboden
persönlicher Integrität, geistiger Freiheit und kultureller
Eigenständigkeit, wo Entmündigung, Gleichschaltung und europäische
Planierung drohen.Die Existenz dieser Alternativpresse war schon bisher
das höchst ungesicherte Produkt selbstausbeuterischen Arbeitseinsatzes
ihrer MitarbeiterInnen, dessen weitere Steigerung kaum noch denkbar
ist. Die Existenzbedingungen für alternative Zeitschriften werden
durch die jüngsten Entwicklungen am Medienmarkt allerdings gewiß
nicht besser: Die weitere Konzentration von Geld und LeserInnen auf
wenige Blätter und die zu erwartende weitere Verschlechterung
des geistigen Klimas im Land werden es auch für alternative Medien
schwerer machen, sich zu behaupten, zumal ihnen dafür nicht annähernd
die Mittel zur Verfügung stehen. Die Tausenderbeträge aus
der staatlichen Presseförderung wirken in dieser Situation wie
eine Verhöhnung wenn man um die Millionenbeträge weiß,
die der "Mediaprint"-Konzern jährlich einstreift. Noch schwieriger
als die nackte Existenzsicherung wird es aber sein, neue LeserInnen
zu gewinnen und eine alternative ôffentlichkeit aufzubauen.
Da aber gerade dies notwendig sein wird in einer Zeit derartiger Not
haben wir uns entschlossen, um das, was wir verantwortungsvollen Journalismus
nennen, zu kämpfen.
VAZ nun?
Das Instrument dazu soll die
Vereinigung alternativer Zeitschriften (VAZ) sein. Sie soll einerseits
jene politische Interessensvertretung sein, die der geistigen und kulturellen
Bedeutung der Alternativpresse angemessen ist. Andererseits will sie organisatorische
und technische Infrastrukturen schaffen, die der Gesamtauflage der Alternativpresse
entsprechen.
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Nicht zufällig ist
die Idee der VAZ aus gemeinsamen Vertriebsaktivitäten entstanden,
zu denen mehrere Zeitschriften im Frühjahr 1990 zusammenfanden.
Der Vertrieb stellt kleine Medien vor die größten verlegerischen
Probleme, da sie - jedes für sich genommen - weder die Auflage
haben, um eine eigene Vertriebsorganisation aufbauen zu können
oder für Vertriebsfirmen interessante Kundschaft zu sein, noch
über die Geldmittel verfügen, um große Summen in Werbung
und Marketing zu investieren. Eine gemeinsame Vertriebsorganisation
vieler Alternativzeitschriften könnte jedoch mit einer Gesamtauflage
arbeiten, die den Aufbau einer alternativen Vertriebsstruktur auch
ökonomisch möglich und sinnvoll macht. Wir verbinden mit
diesem Projekt aber auch die Hoffnung, dem Vertrieb alternativer Zeitschriften
eine neue Qualität zu verleihen: Bisher unerschlossene Zielgruppen
könnten durch gemeinsame Werbung bzw. Unterstützung der
einzelnen Beteiligten bei ihren Werbeaktivitäten hinzugewonnen
werden. Durch Zusammenarbeit mit Medien- und Kulturinitiativen auch
in kleineren Gemeinden könnten Alternativmedien künftig
auch außerhalb großer Städte erhältlich werden
und somit auch inhaltlich eine bessere Verbindung zwischen Stadt und
Land, eine bessere Repräsentanz bisher vernachlässigter
Regionen in der Medienlandschaft erreichen. Gerade einem solchen Anspruch
käme auch die kleinteilige Struktur alternativer Medien mit ihrem
Hang zum Besonderen entgegen. Aber nicht nur eine österreichweite
Versorgung interessierter LeserInnen mit einem kulturellen Grundbedürfnis,
sondern auch der wesentlich verstärkte Kontakt mit dem (naheliegenderweise
zunächst deutschsprachigen) Ausland wird angestrebt. Die österreichische
Alternativpresse weist vielfältige eigenständige und originelle
Denkansätze auf, die gewiß auch für LeserInnen in
der Schweiz oder in (Ost- und West-) Deutschland interessant wären.
Kurzfristig soll eine
Vertriebsorganisation entstehen, die einen gemeinsamen Postvertrieb
abwickelt, einen gemeinsamen Handverkauf in den Städten organisiert
und gemeinsame Werbestrategien entwirft. In einer nächsten Phase
soll der Vertrieb über den Buch- und Zeitschriftenhandel sowie
über befreundete Initiativen in ganz ôsterreich angegangen
werden.
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Darüber hinausgehende
Kooperationsmöglichkeiten, etwa im Produktionsbereich und selbst
im redaktionellen Bereich (z.B. gemeinsames Archiv) werden bereits
überlegt.
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Es wird daran gedacht,
jährliche Preise für richtungsweisende Bilder und Artikel
in alternativen Zeitschriften auszuschreiben, um auch die inhaltliche
Bedeutung alternativer Publizistik zu würdigen und einer breiteren
ôffentlichkeit bewußt zu machen. (Nur nebenbei sei erwähnt,
daß Alternativzeitschriften bereits zur Ausbildung einer beachtlichen
Zahl österreichischer JournalistInnen ihren Teil beigetragen
haben).
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In diesem Sinn beabsichtigt
die VAZ auch Fortbildungsaktivitäten für MitarbeiterInnen
alternativer Medien - dazu gehört nicht nur die journalistische
Ausbildung, sondern auch die Ausbildung für Tätigkeiten
in Produktion und Verlag.
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Darüber hinaus wird
die VAZ Interessenvertretung der alternativen Presse sein, sich für
gemeinsame Ziele wie zum Beispiel für eine angemessene Presseförderung,
für die Gleichstellung nicht-beruflicher JournalistInnen gegenüber
ihren vollberuflichen KollegInnen (Presseausweis u.dgl.), für
wirksame Maßnahmen gegen die weiter voranschreitende Pressekonzentration
etc. einsetzen und mit anderen Medieninitiativen zusammenarbeiten
- insbesondere mit solchen, die zur Zeit für Freies Radio statt
Kommerzradio eintreten.
Es ist selbstverständlich,
daß die VAZ für solche Aktivitäten Infrastruktur in Form
eines Büros ("Freies Pressezentrum Wien"?) und einer Reihe von MitarbeiterInnen
benötigen wird. Namentlich letztere werden die hohen Anforderungen,
welche diese Arbeit an sie stellen wird, nicht erfüllen können,
ohne dafür angemessen entlohnt zu werden. Die Finanzierung dieses
demokratiepolitisch erstrangigen Projektes ist zur Zeit noch offen. Die
beteiligten Zeitschriften werden dazu beitragen, was in ihren bescheidenen
Möglichkeiten liegt, darüber hinaus werden wir aber auf Unterstützung
der öffentlichen Hand angewiesen sein. Es bleibt zu hoffen, daß
die VAZ auch ein erstes Beispiel dafür wird, daß Medienpolitik
hierzulande doch stattfindet.
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