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Offener Brief

an die Abgeordneten
Kiss und Kollegen
p.A. Klub der ÖVP
Parlament
A-1017 Wien

Wien, am 19.06.95

Ihre Anfrage Nr. 1288/J vom 9. Juni 1995 an den Bundeskanzler

Herr Kiss und Kollegen!

Über die Bedeutung des Wortes "Lügen" wurden Sie bereits durch einen offenen Brief des FORVM-Herausgebers Gerhard Oberschlick belehrt: Sie behaupten in Ihrer Anfrage an den Bundeskanzler wahrheitswidrig, daß das TATblatt beim FORVM "büromäßig Unterschlupf gefunden" habe und daß das FORVM "nicht unbeträchtliche Mittel aus der Presseförderung" erhielte. Beide Tatsachenbehauptungen wären sehr einfach auf ihren Wahrheitsgehalt prüfbar gewesen. Da Ihre Anfrage offenbar von dem Interesse daran geleitet war, dem FORVM Schaden zuzufügen, müssen wir davon ausgehen, daß Ihren Lügen nicht Unfähigkeit sondern böswillige Täuschungsabsicht zugrundelag. Darüber hinaus zeugt Ihre Anfrage von mangelnder Rechtskenntnis und von mangelndem Rechtsbewußtsein: Von Ihrer Unkenntnis der Gesetzeslage zeugt die Verwendung des Begriffs "Presseförderung", während, wie Sie als Abgeordnete des Nationalrates wohl wissen sollten, für das FORVM allenfalls die sogenannte "Publizistikförderung" in Frage käme. Von Ihrem mangelnden Rechtsbewußtsein zeugt die Vermessenheit, für die Zu- oder Aberkennung von Förderungsmitteln Kriterien anzuwenden, die den zugrundeliegenden gesetzlichen Bestimmungen gänzlich fremd sind. Weder das "Bundesgesetz über die Förderung der Presse" noch das "Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik" sehen eine Überprüfung der Antragswerber im Hinblick darauf vor, mit wem sie etwa Bürogemeinschaften eingehen oder sonst zusammenarbeiten oder gar nur Kontakte pflegen. Worauf also gründen Sie Ihr in der Form einer Anfrage vorgetragenes Verlangen, eine von Ihnen imaginierte Förderung, die das FORVM zur Schande der Republik ohnehin nicht erhält, "einzustellen"? Offenbar lediglich darauf, daß Ihnen das FORVM politisch nicht genehm ist. Sie fordern damit als Teilnehmer an der gesetzgebenden Gewalt dieses Staates die Mißachtung von Gesetzen und propagieren eine in Österreich zuletzt unter faschistischen Regimes gepflogene Gesinnungsjurisprudenz. Wir laden Sie ein, sich darüber Gedanken zu machen und Konsequenzen zu ziehen: Entweder sie können sich dazu entschließen, sich in Ihrem weiteren politischen Handeln im Rahmen demokratischer Rechtsstaatlichkeit zu halten oder Sie müssen sich einer weiteren Tätigkeit in den Institutionen des demokratischen Rechtsstaats enthalten, also von Ihren Nationalratsmandaten zurücktreten.

In Ihrer Anfrage an den Bundeskanzler offenbart sich aber auch eine politische und intellektuelle Ignoranz, die wir bei Angehörigen der gesetzgebenden Gewalt dieses Staates im Zusammenwirken mit der Leichtfertigkeit im Umgang mit der Wahrheit ebenso wie im Umgang mit, insbesondere in Art. 18 des Bundes-Verfassungsgesetzes statuierten, rechtsstaatlichen Prinzipien als eine untragbare Bedrohung der Freiheit der Information und der Gedankenäußerung in diesem Land einschätzen müssen. Die Zeitschrift FORVM ist seit vierzig Jahren eine der wichtigsten Zeitschriften Österreichs und des gesamten deutschsprachigen Raums. Durch das FORVM wurden einige der interessantesten und bedeutendsten Texte dieser Jahre publiziert - darüber werden Ihnen vielleicht auch des Lesens noch nicht entwöhnte Angehörige Ihrer Partei, vielleicht sogar Ihrer Parlamentsfraktion, etwas erzählen können. Ihr Angriff auf das FORVM ist ein Angriff auf jedes anständige Medium dieses Landes, das Ihrem Geschmack nicht entspricht und damit auch auf alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, mithin Wahlberechtigten, die auf solche Lektüre Wert legen. Wir laden Sie dazu ein, sich auch darüber Gedanken zu machen und bieten Ihnen als Gedankenstütze auch die wahlfreie Lektüre jener Zeitschriften an, die bisher von bloß gedankenlosen Politikern bloß nicht unterstützt wurden und die neuerdings durch gedankenfeindliche Politiker in Ihrem Bestand und Fortkommen bedroht werden. Sollten Sie keinen aktuellen Überblick über das mehrere Hundert Titel und Themen umfassende Angebot der alternativen Zeitschriften haben, stehen wir Ihnen für Informationen gerne zur Verfügung. Sollten Sie sich nicht dazu entschließen können, die durch diese Medien verwirklichte Freiheit der Information und der Gedankenäußerung zu respektieren, so werden wir den politischen Schaden nicht alleine tragen.

für die Vereinigung alternativer
Zeitungen und Zeitschriften (VAZ)
Robert Zöchling
Schriftführer