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VAZ-Presseaussendung, 01.03.1996
Beratung über die Publizistikförderung im Hauptausschuß des Nationalrates

Am kommenden Dienstag, dem 5. März, nimmt der Hauptausschuß des Nationalrates den Bericht der Bundesregierung über die Publizistikförderung 1995 entgegen. Die Bundesregierung hat bei dieser Gelegenheit insbesondere die Gründe für ihre Entscheidungen bekanntzugeben.

Wie Ihnen bereits bekannt sein dürfte, hat die Bundesregierung auf Betreiben der ÖVP die Publizistikförderung 1995 vier Zeitschriften aus dem alternativen Bereich ohne jegliche Begründung nicht zuerkannt, obwohl diese vom zuständigen Beirat für förderungswürdig befunden worden waren.

Wie aus einem ebenfalls bereits veröffentlichten Schriftwechsel der VAZ mit der Bundesregierung hervorgeht, hat sich die Bundesregierung mit dieser politisch klar motivierten, jedoch bestehende gesetzlichen Bindungen völlig mißachtenden, Entscheidung zu einem Akt der Gesinnungsjurisprudenz hinreißen lassen und damit nicht nur unzweifelhaft das "Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik 1984" gebrochen, sondern sich nach der Rechtsauffassung der VAZ auch des Verfassungsbruches schuldig gemacht (Art. 18 B-VG: Legalitätsprinzip, Art. 7 B-VG sowie Art. 2 StGG: Gleichheitsgrundsatz).

Wir erlauben uns, Sie auf den erheblichen Skandalwert einer gesetzes- und verfassungsbrecherischen Entscheidung einer Bundesregierung aufmerksam zu machen, die sich gerade damit als Hüterin des Rechtsstaates, und zwar gegen die Freiheit der Meinungsäußerung, aufspielen möchte.

Wir laden die politisch Verantwortlichen dazu ein, sich Gedanken darüber zu machen, ob ein solches Vorgehen einer Bundesregierung in einem sich selbst als demokratisch und rechtsstaatlich betrachtenden Staat nicht eigentlich zu Konsequenzen führen müßte. Zwar sind den betroffenen Zeitschriften individuelle Beschwerdemöglichkeiten nicht gegeben, jedoch sind in der österreichischen Rechtsordnung auch andere Sanktionsmöglichkeiten eklatanten Fehlverhaltens einer Bundesregierung vorgesehen:

Zum einen steht es dem Nationalrat offen, einzelnen oder allen Mitgliedern der Bundesregierung das Mißtrauen auszusprechen - die betreffenden Mitglieder sind in einem solchen Fall des Amtes zu entheben. Nach Auffassung der VAZ verdienen jedenfalls jene Mitglieder der Bundesregierung, die eine gesetzesbrecherische Entscheidung politisch erpreßt haben, nicht das Vertrauen der gesetzgebenden Körperschaft.

Zum anderen steht es dem Nationalrat offen, eine schuldhafte Rechtsverletzung durch Mitglieder der Bundesregierung mittels sog. Ministeranklage beim Verfassungsgerichtshof geltend zu machen. Ein verurteilendes Erkenntnis des VfHG hätte auf Amtsverlust und unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte zu lauten. Bei geringfügigen Rechtsverletzungen könnte sich der VfGH auch auf die bloße Feststellung der Rechtsverletzung beschränken.

Die Damen und Herren Abgeordneten mögen darüber nachdenken und diskutieren, wie eine außer Rand und Band geratene Bundesregierung außer mit rechtlichen auch mit politischen Mitteln auf demokratisches und rechtsstaatliches Niveau zurückgeholt werden könnte.

Die Damen und Herren Abgeordneten der voraussichtlichen Koalitionsparteien mögen darüber nachdenken und beraten, ob Partei- und Koalitionstreue bis in den Gesetzesbruch in einer demokratiepolitisch ernstzunehmenden Angelegenheit angebracht ist.

Die VAZ hofft, daß es gelingen möge, der destruktiven Dynamik, die dieser Staat angenommen hat, gelegentlich Einhalt zu gebieten.

ergeht an:

  • die Parlamentsklubs jener Parteien, in denen die VAZ demokratische Gesinnung vermutet:
    • Grüne
    • Liberales Forum
    • SPÖ
    • ÖVP

  • den Präsidenten des Nationalrates

  • die Bundesregierung, zu Handen des Bundeskanzlers

  • Medien, Verbände etc.